The following article appeared in May 1998 in the journal 'Naturwissenschaftliche Rundschau'. The first reference to the existence of caves in lava fields of Mars, given by me, took place 1997 in the context of a lecture during the annual convention of the 'Verband deutscher Höhlen- und Karstforscher' in Garmisch-Partenkirchen, Bavaria. It was based on theoretical conclusions concerning the physical basis of the deposition process of lava streams. The proof trough satellite photographs of the Mars surface succeeded in the year 2007.
Herbert W. Franke
Die neuesten Erkenntnisse über die Entwicklung der Planeten im Sonnensystem führen zur Annahme, daß sich Erde und Mars in ihren frühesten Entwicklungsstufen nur wenig unterschieden haben. Auch Wasser dürfte es auf dem Mars in viel reicherem Maß gegeben haben als jetzt. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, daß sich dort, vielleicht in den heute noch hypothetischen Marsmeeren, einfachste Lebensformen gebildet haben. Es ist nicht zu erwarten, daß noch Spuren davon auf der heutigen Marsoberfläche erhalten sind, die wegen des Fehlens einer dichten Atmosphäre der Ultraviolettstrahlung ausgesetzt ist und sich zumeist im Zustand des Permafrosts befindet. Anzeichen von Leben - vermutlich in fossilem Zustand - können sich allenfalls im Inneren erhalten haben. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf das Phänomen der Höhle, das auf der Erde weitverbreitet ist. Sollte es auf dem Mars Höhlen geben, dann besteht dort die größte Chance, Spuren von Leben zu finden.
Eine Bestandsaufnahme zeigt, daß bereits beachtliches Wissen über den Mars erschlossen ist. Die Erforschung begann mit Teleskopen, ergänzt durch einige Methoden der Astrophysik, speziell der Spektroskopie. Seit 1962 kam es durch den Einsatz von Sonden zu entscheidenden Fortschritten; einerseits wurden von zum Mars gesandten Beobachtungssatelliten mehrere Zehntausend Aufnahmen seiner Oberfläche zur Erde gefunkt, andererseits gelang es, automatisch arbeitende Kleinlaboratorien zu landen, die neben Bildern auch physikalische und chemische Daten übermittelten. Ergänzende Informationen lieferten einige auf der Erde, insbesonders in der Antarktis gefundene Bruchstücke von Meteoriten, die zweifellos vom Mars stammen.
Aus diesen Untersuchungen ergab sich das Bild, das man sich vom heutigen Zustand des Planeten macht. In den Rhythmen der Jahre und Tage unterscheidet er sich wenig von der Erde; im Laufe des Wechsels von Tag und Nacht wie auch von Sommer und Winter schwankt die Intensität der Sonneneinstrahlung und somit auch die Temperatur. Im Durchschnitt liegt diese bei minus 55º C, doch kann sie in Äquatornähe auf plus 10-20º C steigen. Wie auf der Erde sind die Pole mit Eis bedeckt, allerdings handelt es sich hierbei nicht nur um gefrorenes Wasser, sondern auch um gefrorenes Kohlendioxid. Im Wechsel der Jahreszeiten ändert sich die Eisbedeckung auf den Polen, und zwar ist es das Kohlendioxid, das im Sommer verdampft und im Winter niedergeschlagen wird.
Der Atmosphärendruck auf der Marsoberfläche liegt bei sieben Millibar, also bei rund einem Hundertstel des Drucks an der Erdoberfläche. 93% der Gase bestehen aus Kohlendioxid. Es gilt als erwiesen, daß sich sowohl Wasser wie auch Kohlendioxid in größeren Mengen in den Bodenschichten befinden. Diese sind allerdings von Permafrost erfaßt, der am Äquator 2,5 Kilometer und an den Polen 6,5 Kilometer in die Tiefe reicht.
Die Situation auf dem Mars unterscheidet sich also derzeit grundlegend von jener der Erde, und das liegt sicher an der Tatsache, daß beide Planeten einer unterschiedlichen Entwicklung unterworfen waren. Hauptgrund dafür ist die Gravitation, die auf dem Mars nur rund 40% von jener der Erde erreicht, und das genügt nicht, um die Moleküle der Atmosphäre zu halten; der größte Teil der anfänglich sicher dichteren Atmosphäre ist längst in den Weltraum verdampft.
Der Mars präsentiert sich also heute als erstarrte, lebensfeindliche Welt, und deshalb ist sowohl im Hinblick auf die Bildung von Höhlen wie auch auf die Entstehung von Leben nicht die Gegenwart, sondern die Frühzeit des Planeten interessant. Man nimmt an, daß sich vor 4,6 bis 3,8 Milliarden Jahren um den flüssigen Kern herum eine Kruste gebildet hat. Diese Zeit wird als jene des "starken Bombardements" bezeichnet - wie Beobachtungen der Mond- und der Marsoberfläche zeigen, waren damals Meteoriten, darunter auch größere Brocken bis zu Kleinplaneten, im Sonnensystem unterwegs, die dann und wann auf Planeten und Monden einschlugen. Während die Spuren davon auf der Erde vollständig verwischt sind, kann man auf den Oberflächen von Mond und Mars heute noch offenliegende Einschlagkrater feststellen. Im übrigen dient die Kraterdichte als Maß für das Alter der betreffenden Region. Jüngere Ablagerungen, entstanden durch Lavaströme, ausgeworfenes vulkanisches Material und dergleichen mehr, führte zu jüngeren Bedeckungen, die heute durch ihre geringere Kraterdichte erkennbar und dadurch angenähert datierbar sind. Durch Aufnahmereihen der Orbiter-Sonden gelang eine systematische Vermessung des Planeten, darunter mancher Teile mit einer Auflösung bis zu 25 Metern [1]. Die Oberflächenformen des Mars sind also relativ gut bekannt, und durch die Aufnahmen der mit den Laboratorien gelandeten Kameras kennt man auch Details der Bodenbeschaffenheit. Etwa zwei Drittel der Marsoberfläche, speziell im Süden des Planeten konzentriert, werden von höhergelegenen Regionen eingenommen. Sie reichen zwei bis fünf Kilometer über einen als Standard verwendeten Mittelwert der Höhe hinaus und sind durch große Kraterdichte als alt ausgewiesen. Das restliche Drittel, eher im Norden konzentriert, wird als Tiefland bezeichnet und gehört zu den jüngeren Regionen. Wenn es auf dem Mars Meere gegeben hat, dann wären sie hier anzusiedeln.
Zu den auffälligsten Erscheinungen der Marsoberfläche gehören Vulkane oft beachtlicher Größe. Zwischen dem Hoch- und dem Tiefland liegt der 'Olympus Mons', der als größter Vulkan des Sonnensystems gilt. Sein Durchmesser beträgt 600 Kilometer, seine Höhe 26 Kilometer, der Durchmesser des Kraters 80 Kilometer. Des weiteren sind viele größere und kleinere Vulkane bekannt; der Vulkanismus gehört wohl zu jenen Erscheinungen auf dem Mars, die sein Bild auch noch in jüngerer Zeit geprägt und verändert haben. Eine Aussage darüber, ob die Marsvulkane noch aktiv sind, ist bisher nicht möglich, wahrscheinlich bestehen durch sie heute noch Verbindungen zu den heißen Teilen des Marsuntergrunds.
Wasser auf dem Mars
Die Existenz von Wasser auf dem Roten Planeten ist schon lange bekannt, und in jüngster Zeit hat sich bestätigt, daß es sich um nennenswerte Mengen handelt: Nimmt man als Maß für die Wassermenge, die nach der Bildung der Kruste auf dem Mars vorhanden war, die Tiefe eines den Planeten gleichmäßig bedeckenden Ozeans an, dann schwanken die Abschätzungen zwischen 130 und 500 Metern [2]. Ein großer Teil davon mag während der wärmeren Zeit verdampft sein, doch hat die bald einsetzende Erkaltung das restliche Wasser in Form von Eis festhalten können. Insbesondere kann der Regolith, eine Schotterdecke aus lockerem Gestein und Sand, die oft mehrere Hundert Meter dicke Schichten bildet, beträchtliche Mengen Wasser aufnehmen. Im Übrigen spricht einiges dafür, daß nicht nur auf dem Mars, sondern auch auf der Erde Wasser durch herabstürzende Kometen nachgeliefert wurde.
Augenfälliger als alle indirekten Schlußfolgerungen deutet das Oberflächenbild des Mars auf Wasser hin. Es gibt eine ganze Reihe von Formen, die sich am besten durch Wasser- und Eisströme erklären lassen. Zwar wurde immer wieder versucht, auch andere Erscheinungen, beispielsweise abwärtsgleitende Trockenmassen, als Ursache der Talbildung anzunehmen, doch keines der vorgeschlagenen Modelle ist so überzeugend wie die Annahme von Wasser.
Durch ihr Erscheinungsbild sind 'Abflußkanäle' und 'Talnetze' zu unterscheiden. Beide bilden Systeme, die mehrere hundert Kilometer lang werden können. Die 'Abflußkanäle' sind dadurch ausgezeichnet, daß sie mit voller Breite beginnen, wobei diese bis zu zwanzig Kilometer erreichen. Man vermutet, daß sie auf einmalige, katastrophenartige Ereignisse zurückgehen, auf Fluten, hundertmal stärker als jene der Erde, die durch plötzliche Entleerung von Seen oder durch das Aufschmelzen von unterirdischen Wasserlinsen ausgelöst wurden. Dagegen ist der zweite Typ, jener der 'Talnetze' mit seinem astförmigen Verlauf, den Flußsystemen der Erde so ähnlich, daß andere Erklärungen recht unwahrscheinlich sind. Offen bleibt allerdings die Frage, ob es sich um eine Art der Entwässerung nach dem Beispiel der Erde gehandelt hat, also auf der Basis eines Kreislaufs, der Meerwasser, Verdunstung, Regen, Abfließen über ein Oberflächen- und Grundwassernetz bis zu einem Ozean umfaßt.
Die Diskussion von Marsmeeren und einem darauf beruhenden Wasserkreislauf führt in spekulative Bereiche. Einige Autoren berufen sich auf die geochemischen Entsprechungen in den Frühphasen der Evolution von Erde und Mars, um Marsozeane zu begründen. Auf dieser Basis lassen sich sogar weiterreichende Angaben über die Zusammensetzung des Meerwassers ableiten. Die ersten Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigten, kamen in den Siebziger Jahren zur Annahme einer Azidität im Bereich zwischen sauer und neutral. Neuere Untersuchungen lassen eher einen alkalischen Ozean annehmen, eine Hypothese, die sich nicht nur auf theoretische Erwägungen stützt, sondern auch auf praktische Untersuchungen und Messungen von sogenannten Sodaseen in vulkanischen Regionen der Erde [3,4]. Leider ergeben sich für oder gegen einen mit jenem der Erde vergleichbaren Wasserkreislauf wenig konkrete Anhaltspunkte. Die Vorstellung, daß der Mars seine Atmosphäre größtenteils schon während der Zeit des 'starken Bombardements' verloren hat, macht das Phänomen Regen eher unwahrscheinlich.
Karsterscheinungen
Die meisten auf der Erde vorkommenden Höhlen und damit die bevorzugten Objekte der Speläologen sind die Karsthöhlen. Im Prinzip entstehen sie durch die lösende Kraft kohlendioxidhaltigen Wassers. Schon beim Abregnen nimmt es CO2 auf und kann die CO2-Konzentration beim Sickern durch humushaltige Bodenschichten noch gehörig vergrößern. Diese Lösungen korrodieren den Kalk, zunächst oberflächlich, wobei sich die äußerlich erkennbaren Karstformen bilden, später auch in tieferen Spaltensystemen. Die Existenz größerer Höhlenräume in der Tiefe ist der Tatsache zu verdanken, daß sich ab einem Sättigungsgrad von über 90% die physikalisch-chemische Kinetik stark verlangsamt, so daß die Lösungsfähigkeit tief in die unterirdischen Regionen hineingetragen wird, und daß sie sich beim Mischen von gesättigten Kalklösungen verschiedener Konzentrationen wieder erhöht [5,6,7].
War die Bildung von Karsthöhlen in der Frühzeit des Planeten Mars möglich? Bekanntlich sind dazu verkarstungsfähige, durch CO2-haltiges Wasser lösbare Gesteine erforderlich, wie sie auf der Erde vor allem als Sedimentgesteine wie Kalk vorliegen. Dazu wäre ein Kreislauf des Wassers über Flußsysteme oder Grundwasserströme unter Einbeziehung von Meeren nötig, und diese Voraussetzung ist nicht ohne weiteres annehmbar. Zwar ist nicht auszuschließen, daß es während einer relativ kurzen Zeitspanne zur Ausbildung von Karstgegenden mit den dazugehörigen Höhlensystemen gekommen ist, doch ist eine solche Vorstellung allenfalls als Hypothese anzuerkennen.
Es gibt aber auf der Erde noch einige weitere Erscheinungen, die zur Aushöhlung des Untergrunds führen, zum Beispiel die sogenannten hydrothermalen Aktivitäten. Gerade der auf dem Mars sehr starke Vulkanismus läßt Erscheinungen dieser Art als wahrscheinlich erkennen. Man nimmt an, daß die innenbürtige Wärme zum Aufsteigen von heißem Wasser führt, das verschiedene Säuren, beispielsweise schwefelige Säure, enthalten kann. Solche Lösungen sind imstande, chemisch anfällige Gesteinsschichten aufzulösen. Auf diese Weise können auch größere Höhlenräume entstehen.
Auf einigen Marsbildern sind Regionen zu erkennen, die als 'chaotisch' bezeichnet werden und äußerlich an Karstformen erinnern. In der Tundraregion der Erde gibt es vergleichbare Vorgänge, die ohne chemische Umsetzungen, allein durch das Aufschmelzen des Wassers der Permafrostschichten, entstehen. In diesem Fall können Versturzräume entstehen, die Bildung größerer Höhlensysteme ist nicht zu erwarten.
Neben der Karsthöhlen gibt es auf der Erde auch Lavahöhlen, viele von ihnen weit abseits der Wissenschaftszentren, beispielsweise auf Hawai. Das ist auch der Grund dafür, daß ihre Erforschung, sowohl touristisch wie wissenschaftlich, erst vor kurzer Zeit richtig einsetzte. Das Entstehungsprinzip ist einleuchtend: Die von Vulkanen austretenden flüssigen Lavamassen fließen talwärts und kühlen dabei von der Oberfläche her ab, wobei sie zunächst in zähflüssigen und schließlich in festen Zustand übergehen. Dagegen bleiben die Massen im Inneren weitaus länger heiß und flüssig, so daß sich schließlich ein Röhrensystem ergibt, durch das die vom Vulkan geförderte Lava ohne Wärmeverlust zu Tal fließen kann. Diese Röhren sind relativ stabil, so daß die Aktivitäten über Wochen oder Monate hinweg bestehen können.
Die Länge dieser Abflüsse kann mehrere Kilometer erreichen, was die Befahrungen schwierig
macht. Die bisher längste Lavahöhle der Erde ist 61 km lang [8,9]. Es stellte sich heraus, daß es sich keineswegs nur um gleichförmige Röhren handelt, vielmehr kommt es auch in diesem Milieu zu Erweiterungen, wie sie von Karsthöhlen her bekannt sind. Das gilt einerseits für die Erosion, die mechanische Abtragung der von der Flüssigkeit berührten Flächen, die bevorzugt seitlich und in die Tiefe einschneidet. Die seinerzeit angenommene thermische Erosion, also das Aufschmelzen der begrenzenden Lavaschichten, spielt nicht die erwartete Rolle; das liegt an einer Art Pufferwirkung des Schmelzprozesses, der Energie verbraucht, ohne die Temparatur zu erhöhen. Eine andere Art der Höhlenerweiterung ist der Verbruch, also der Absturz von Deckenteilen, der einerseits von der Stabilität des darüberliegenden Gesteins, andererseits vom Druck (und damit von der Schwerkraft) abhängt. Es gibt noch weitere Effekte, die zur Umformung von vulkanischen Höhlenräumen führen. Alles in allem sind solche weitaus geräumiger und abwechslungsreicher, als man bisher angenommen hat [10].
Gerade dieser Höhlentyp, die Lavahöhle, ist zweifellos eine auf dem Mars weitverbreitete Erscheinung. Das liegt vor allem an der schon erwähnten starken vulkanischen Aktivität auf dem Mars, weiter aber auch an der zur Bildung und Erhaltung von vulkanischen Höhlen günstigen Situation. Da auf dem Mars tektonische Prozesse weitaus weniger Bedeutung haben als auf der Erde, können sich einmal entstandene Höhlen über lange Zeiträume hinweg unbeschadet erhalten. Ein wesentliches Moment ist auch die im Vergleich mit der Erde geringere Schwerkraft: Die Höhlendecken sind einem geringeren Druck ausgesetzt, zum Verbruch kommt es erst bei weitaus größeren Hohlräumen. Im Gegensatz zur Erde, wo die Abkühlung der oberflächlich liegenden Lava auf konvektive Prozesse zurückgeht, wird sie wegen der dünnen Atmosphäre auf dem Mars vor allem durch Abstrahlung verursacht. Dadurch wird der Abkühlungsprozeß langsamer, doch spielt der Zeitfaktor unter den auf dem Mars gegebenen Umständen im Hinblick auf mögliche Höhlenentstehung keine Rolle.
Diese eher theoretisch fundierten Überlegungen lassen sich durch Beobachtungen erhärten. In mehreren Lavafeldern sind linear angeordnete Einbrüche zu erkennen, die - nach einer Mitteilung von Konrad Hiller - als Deckenstürze großer Räume im Lauf eines Lavaflusses zu deuten sind. Die auf dem Mars auftretende basische Lava ist dünnflüssig und kann auch bei relativ geringer Bodenneigung über weite Strecken fließen. Die Lavaströme erreichen - wie man aus den Marsbildern ersieht - an manchen Stellen mehrere 1000 km Länge.
Man darf also zusammenfassen: Karsthöhlen des auf der Erde üblichen Typs sind auf dem Mars höchst unwahrscheinlich, dagegen sprechen einige Argumente für die Existenz hydrothermal ausgeräumter Höhlen. Und schließlich besteht kein Zweifel daran, daß der Mars von weitreichenden Systemen von Lavahöhlen durchzogen ist, die vermutlich die Größe von kleinen Röhren bis zu jener von riesigen Tunneln aufweisen und in ihren Dimensionen jene der Erde weit übertreffen.
Leben in Marshöhlen
Die Ergebnisse der Überlegungen über Höhlenphänomene auf dem Mars stellen auch die Frage nach dort erhaltenen Lebensspuren unter einen neuen Aspekt. Der Vergleich mit Höhlen auf der Erde kann hier nützlich sein. Es ist bekannt, daß solche nicht nur reiche Fundstätten von Fossilien sind, sondern daß sich in ihnen auch Tierpopulationen erhalten haben, die die Höhlen - beispielsweise als Reaktion auf eine Klimaverschlechterung - als Schutzräume aufgesucht haben. So gibt es Käfer- und Spinnenarten, die seit der Eiszeit in unserer Gegend an der Oberfläche ausgestorben sind, von denen aber dem unterirdischen Aufenthalt angepaßte Varianten noch in Höhlen vorkommen.
Ein besonders aussagekräftiges Beispiel liefert die Movile-Höhle im rumänischen Karst [11]. Sie wurde 1986 vom Geologen Cristian Lascu entdeckt, ein 240 Meter langes, völlig von der Außenwelt abgeschnittenes Netz von Höhlenräumen. Die schon seit längerer Zeit bestehende Isolation ist durch das Fehlen radioaktiver Isotope aus Atombombenzündungen und dem Unfall von Tschernobyl nachgewiesen. Das System ist zum Teil von schwefelhaltigen Lösungen erfüllt, zum Teil auch von einer Atmosphäre, die nur zwischen sieben und zehn Prozent Sauerstoff enthält, dagegen einen relativ großen Anteil - einige Prozent - Kohlendioxid und Methan. Es kann von Menschen nur mit Gasmasken betreten werden. Das Besondere daran ist, daß sich in dieser Umgebung ein Biotop gebildet hat, das auf dem Umsatz von Schwefel beruht. Gefunden wurden verschiedene Insektenarten sowie Würmer und Blutegel. Am Anfang der Nahrungskette stehen schwefelverarbeitende Bakterien.
Dieses Beispiel ist gewiß nicht bedenkenlos auf den Mars zu übertragen, es zeigt aber, wie Lebensformen in Höhlen über längere Zeit hinweg Zuflucht finden können, auch dann, wenn die äußere Situation das Überleben nicht mehr zuläßt. Solche Umstände können für Lebewesen auf dem Mars bestimmend gewesen sein, auf welcher Stufe der Entwicklungsreihe sie sich auch befunden haben mögen.
Das führt wieder zur Frage der Entstehung des Lebens allgemein zurück. Heute lassen sich einige chemische und physikalische Bedingungen angeben, die erfüllt sein müssen, um die Synthese komplizierterer organischer Moleküle zuzulassen. Eine davon betrifft die Temperatur; die etwa im Bereich zwischen dem Gefrier- und dem Siedepunkt des Wassers liegen muß. An der Marsoberfläche ist sie schon seit mehreren Milliarden Jahren nicht mehr erfüllt, dagegen ist das Vorkommen von Schichten, die von einer milden Erdwärme erfaßt sind, in unterirdischen Bereichen mehr als wahrscheinlich.
Was die Energiequelle betrifft, so ist uns von der Erde her bekannt, daß primitive Lebensformen ihre Energie auch aus anderen chemischen Umsetzungen gewinnen können als aus der Verbrennung; Sauerstoff ist also nicht unbedingt nötig. Schon das Beispiel der Movile-Höhle, aber auch die Vorbilder der Bakterienfauna in Schwefelquellen, sind praktische Beispiele dafür. Im übrigen kann man ganz allgemein feststellen, daß einfaches Leben unter Umständen möglich ist, die allgemein als lebensfeindlich gelten, beispielsweise in sauren und alkalischen Lösungen, unter Bedingungen nahe am oder sogar unter dem Gefrierpunkt und bei Temperaturen über 100º C. Wie die Beispiele der 'Extremlebewesen' zeigen, kann sich das Leben in einem weiten Bereich sehr unterschiedlichen Bedingungen anpassen.
Schließlich zur Frage des Wassers. Die Existenz des Wassers auf dem Mars ist erwiesen, und zur Entstehung des Lebens muß es nicht unbedingt in einem Meer gesammelt sein. Im gegebenen Zusammenhang ist der von Kempe und Kaz´mierczak gegebene Hinweis erwähnenswert, wonach die Entstehung von Leben nur in einer Umgebung niedriger Kalziumkonzentrationen möglich ist, wie sie alkalische Lösungen bieten [3,4].
Schlußfolgerungen und Ausblick
Die Überlegungen über die Existenz von Marshöhlen sind nicht nur von wissenschaftlicher, sondern auch von praktischer Bedeutung. Gemäß den Erfahrungen der Höhlenforschung auf der Erde ist zu erwarten, daß es offenstehende Zugänge zu solchen Systemen gibt, beispielsweise als Einbrüche an der Oberfläche. Die angrenzenden überdachten Bereiche bieten sich als natürliche Unterstände für Astronauten an. Dort sind diese vor Strahlung und Wettereinflüssen geschützt. Es ist allerdings damit zu rechnen, daß manche in früherer Zeit gebildeten Eingänge zu Marshöhlen inzwischen durch Staub und Asche wieder verschlossen wurden - eine Erscheinung, die auch auf der Erde zu beobachten ist, z.B. an der Kilauea Caldera auf Hawaii [12,13].
Nach einem Vorschlag von Stephan Kempe kann in Höhlenräumen mit aufblasbaren, luftgefüllten Folien ein für Menschen akzeptabler Lebensraum geschaffen werden, der sich weitaus geräumiger auslegen und schneller erstellen läßt als eigens errichtete Behausungen an der offenen Marsoberfläche. Die Gegenden, an denen Eingänge von Lavahöhlen zu erwarten sind, wären durch die Auswertung von Geländeaufnahmen leicht zu ermitteln, eine detaillierte Suche nach geeigneten Örtlichkeiten kann dann im Laufe der Vorbereitungen einer bemannten Mission mit hochaufgelösten Fotos und mit dem Einsatz von Erkundungsrobotern (entsprechend dem Sojourner der Pathfinder-Mission 1997) erfolgen. Der dafür nötige Aufwand wird durch die erreichten Vorteile mehr als aufgewogen.
Andererseits führt die Existenz von Höhlen auf dem Mars wieder zur Frage der Entstehung und Erhaltung von Lebenserscheinungnen zurück. In den von hydrothermalen Lösungen und von Lavaflüssen gebildeten Höhlen besteht zweifellos die größte Chance, auf Anzeichen von Leben zu treffen. Wenn die geschilderten Modellvorstellungen über das Marsklima zutreffen, dann ist anzunehmen, daß sich schon früh in der Geschichte des Mars einfachste Lebensformen in Höhlen zurückgezogen und in diesen mehr oder weniger lang weiterentwickelt haben. Das könnte an vielen Stellen geschehen sein, die von Anfang an voneinander isoliert waren: Inseln des Lebens, Örtlichkeiten, die sicher in ihren lokalen Klimabedingungen voneinander abwichen, so daß sich höchst unterschiedliche Entwicklungen ergeben haben sollten. So stellt sich der Mars als eine Art Laboratorium heraus, das die Anfänge des Lebens zu erforschen gestattet. Wahrscheinlich wird man sich zunächst mit Fossilienfunden begnügen müssen, es ist aber nicht einmal völlig ausgeschlossen, daß sich Lebensgemeinschaften in den unterirdischen Regionen bis heute lebendig erhalten konnten. Auf dem Roten Planeten wird man also aller Voraussicht nach auf Lebensspuren treffen, die auf der Erde längst zerstört sind. Damit ergibt sich die bemerkenswerte Situation, daß wir das Leben auf dem Mars suchen und erforschen sollten, um die Entwicklung des Lebens auf der Erde zu verstehen.
Danksagung: Für wertvolle Anregungen zum Thema und für Hilfe bei der Bildbeschaffung und Korrektur danke ich Dr. Konrad Hiller, DLR Oberpfaffenhofen, und Prof. Dr. Stephan Kempe, Universität Darmstadt. Weiter danke ich den Herren Dr. Reinhard Breuer, Stuttgart, Dr. Vittorio Castellani, Universität Pisa, sowie Prof. Dr. Hubert Trimmel, Wien, für wichtige Literaturhinweise. Nachträglich habe ich auch noch Herrn Dr. Ernst Hauber vom Institut für Planetenforschung beim DLR-Standort Berlin-Adlershof für die Beistellung neuen Bildmaterials vom Mars zu danken.
In der Bildserie der Originalpublikation sind auch zwei meiner eigenen Höhlenaufnahmen zu sehen, deren Wiedergabe allerdings unbefriedigend ist: Es sollten die eingangsnahen Gewölbeformen der Lavahöhlen gezeigt werden, doch wegen des starken Kontrasts zwischen der sonnigen Außenlandschaft und den im Schatten liegenden überdachten Höhlenteilen erscheinen diese in den Fotos undifferenzierbar dunkel. Ich habe daher den Kontrast im Sinn einer besseren Bildwiedergabe abgeschwächt und füge diese beiden bearbeiteten Aufnahmen hier ein. Bei diesen Bildern geht es vor allem um die typischen Raumformen der Lavahöhlen, die solche als ideale Unterstände für Marsforscher ausweisen; sie lassen sich mit relativ geringfügigem Aufwand für Menschen wohnlich einrichten.
Zur Zeit der Publikation dieser Arbeit in der 'Naturwissenschaftlichen Rundschau' standen bereits Bilder zur Verfügung, die von Vulkanen des Mars ausgehende Lavaflüsse zeigen, jedoch war deren Auflösung noch zu gering, um eine eindeutige Identifizierung von Einbrüchen in der Oberfläche zuzulassen. Die zur Illustration des Artikels ausgesuchten Marsaufnahmen beschränkten sich daher auf allgemeine Erscheinungen des Mars-Vulkanismus. Inzwischen wurde von den deutschen Planetenforschern unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum - seit Kurzem Professor am Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin - die hochauflösende Stereo-Kamera HRSC entwickelt, die sich an Bord des ersten europäischen Mars-Orbiters Mars Express befindet. Sie liefert Aufnahmen einer Auflösung bis zu zwei Metern. Auf den Bildern der Marsoberfläche sind Einbruchsöffnungen zu erkennen, die längs der Falllinien erstarrte Lavaflüsse angeordnet sind und inzwischen allgemein als Deckenbrüche von oberflächennah gelegenen Hohlräumen angesehen werden. Ich verzichte deshalb hier auf die in der Publikation verwendeten Marsbilder und nehme stattdessen zwei der neuen Bilder aus dem Mars-Orbiter auf.
Und nun, im Mai 2007, noch eine Ergänzung. Inzwischen wurden nämlich mit Hilfe des Systems THEMIS (Thermal Emission Imaging System) der NASA Aufnahmen noch höherer Auflösung gemacht, mit denen durch Deckenbrüche entstandene Öffnungen in den Lavafeldern zu sehen sind. Im Nordosten des riesenhaften Vulkans Asia Mons wurden sieben Formationen dieser Art gefunden. Die Bilder zeigen eine Übersicht der Gegend...
... und eine hochaufgelöste Ansicht der Öffnung.
[1] K. Hiller, E. Hauber, H. Schmidt, T. Wintges: Planetenbildkarte Olympus Mons/ Planet Mars. Kartographische Nachrichten 3, 1993, 68 - 71
[2] M. H. Carr: Water on Mars. Oxford University Press, New York, Oxford, 1996
[3] S. Kempe, J. Kazmierczak: The role of alkalinity in the evolution of ocean chemistry, Organisation of Living Systems, and Biocalcification Process. Bulletin de l'institut océanographique, Monaco, nº spécial 13, 61-117, 1994
[4] S. Kempe, J. Kazmierczak: A terrestrial model for an alkaline Martian hydrosphere. Preprint, submitted for: Planetary and Space Sciences. 71-117, 1997, in Press
[5] W. Dreybrodt: The role of dissolution kinetics in the development of karst aquifers in limestone: A model simulation of karst evolution. Jahrbuch für Geologie 98, 1991
[6] S. Kempe: Höhlenbildung durch primäre und sekundäre Lösungskapazität. Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Grabenstetten, Jahresheft, 13-17, 1995
[7] A. N. Palmer: Groundwater processes in karst terranes. Geological Society of America, Special Paper 252, 177 - 209, 1990
[8] S. Kempe: Neue Rekorde in Lavahöhlen auf Hawaii - ein Statusbericht. Mitteilungen des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher, 42(2), 27-29, 1996
[9] U. Allred, C. Allred: Kazumura cave atlas, Island of Hawaii. Publikation im Selbstverlag, 81.S., 1997
[10] S. Kempe: Lava falls: a major factor for the enlargement of lava tubes of the Ai-la'au shield phase, Kilauea, Hawaii. Preprint, Proceedings of the 12th International Congress of Speleology 1997 UIS
[11] S. M. Sarbu: Movile Cave, Romania - A subterranean chemoautotrophically-based ecosystem. Cave Research Foundation Memphis, Annual Report, 46 - 48, 1993
[12] S. Kempe, C. Ketz-Kempe: Lava tubes systems of the Hilina Pali Area, Ka'u District, Hawaii. Proc. 6th International symposium for volcanospeleology, Hilo 1991
[13] S. Kempe, C. Ketz-Kempe, W. R. Halliday, Marlin Spike Werner: The cave of Refuge, Hakuma Horst, Kalapana, Puna District, Hawaii. Pacific Studies, 16(2), 133 - 142, 1993
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