Im Jahr 2000 fand Karl-Heinz Pielsticker anlässlich einer Reise in die ägyptische Sahara in der Gegend der "Kristallberge" zwischen den Oasen Baharia und Farafra eine Reihe aus dem Sand ragender Gebilde, deren Formenschatz jenem der Höhlensintergebilde entspricht. Eine weitere Reise 2001 bestätigte diesen Befund, und im Februar dieses Jahres erfolgte schließlich eine systematische Bestandsaufnahme mit Fotodokumentation, Vermessung, Beprobung und Analyse des Formenschatzes der Region, die sich als Paläokarst mit einigen durch die Wüste bedingten Besonderheiten erwies.
Formenschatz der Sintergebilde
Die Formanalyse einzelner beispielhafter Sinterbildungen soll im anschließenden Fototeil erfolgen. Die unteren Partien sind meist unter Sand vergraben, doch ragen manche der Gebilde auch mehrere Meter darüber hinaus. Oft sind die Tropfsteine zu Aggregaten zusammengefasst, so dass auch vom Volumen her beträchtliche Ausmaße erreicht werden. Zu den Makroformen ist zu bemerken, dass es sich um typische Boden- und Deckensintergebilde handelt. Deckenzapfen sind nicht nur an ihrer äußeren Form, sondern auch durch die offenen Kanäle der ursprünglichen Tropfröhrchen zu identifizieren. Man findet die typischen Säulen und Kegel von Bodenzapfen und auch die gefalteten Vorhänge des Deckensinters. Eine weitere oft beobachtete Form ist die des Sinterbeckens - viele davon haben Größen von mehreren Quadratmetern.
Bei vielen dieser Objekte ist die durch Winderosion freigelegte Schichtung gut zu erkennen. Ungewöhnlich daran ist die starke Rekristallisation, die unabhängig von der ursprünglichen, senkrecht zur Oberfläche gerichteten Kristallisation spatförmige Einkristalle zustandegebracht hat, nicht selten als faustgroße wasserklare Einheiten. Besonders auffällig sind die äußersten Schichten, bei denen die Oberflächen durch Sanderosion mattgeschliffen wurden, was ihnen eine ins Blauviolette gehende Tönung verleiht. Feuchtet man allerdings die Oberflächen an, dann verlieren sie dieses Aussehen und erscheinen glasartig durchsichtig - farblos oder braun getönt. Von manchen dieser Schichten sind nur noch unzusammenhängende Lagen aus voneinander getrennten Einzelstücken übrig, die nur noch lose auf der Unterlage sitzen; das hat dazu geführt, dass auf dem Sandboden um die Sintergebilde herum mattmilchige Calcitkristalle verstreut liegen. Häufungen solcher Kristalle kann man deshalb als Anzeichen für Sintergebilde nehmen, die nahezu oder auch ganz vom Sand bedeckt sind.
Auch die inneren Schichten sind - man sieht es an durch Sanderosion freigelegten Partien - zum Teil durchkristallisiert, in anderen Fällen auch in Form parallel angeordneter, senkrecht zur Schichtung liegenden Kristallnadeln erhalten. Merkwürdigerweise erwies sich an einigen Stellen, wo Querschnitte von Stalagmiten und Stalaktiten freigelegt waren, deren Kernsubstanz als hellgraue, zementartig amorphe Masse.
In den Sinterschichten treten oft farbige Zwischenlagen auf; besonders auffällig ist eine dünne tiefschwarze Schicht, die sich auch in der weiteren Umgebung feststellen ließ. Auch Zwischenlagen von rotbraunen Sedimenten kommen vor. Erwähnenswert sind schließlich grüne krümelige Massen, die man speziell dort findet, wo Sinterstücke im Sand eingebettet aufgefunden werden, sie treten aber auch in Spalten innerhalb der Sedimente auf; es muss noch festgestellt werden, ob es sich um anorganische oder organische Substanzen handelt.
Vermessung
Es wurde der Versuch unternommen, das Gebiet einzugrenzen, innerhalb dessen die beschriebenen Sinterfiguren vorkommen. Das ist mit Sicherheit in einem Areal von rund 20 Quadratkilometern Flächeninhalt der Fall, vermutlich auch darüber hinaus. Allerdings ist die Mächtigkeit oder auch der Erhaltenszustand der Sintergebilde nicht überall gleich; das Zentrum liegt in der Gegend der Kristallberge, doch kleine Objekte waren auch in größerer Entfernung noch festzustellen. Bemerkenswert ist, dass sich bei der Ekursion im Jahr 2001 auch an einer ganz anderen Stelle, nämlich 120km weiter in Richtung Ostsüdost, Sinter des beschriebenen Typs fand. Es ist anzunehmen, dass die Vorgänge, die zu den beschriebenen Erscheinungen geführt haben, auch in anderen, klimatisch ähnlichen Bereichen der Kalkwüste aufgetreten sind.
In einem von uns näher untersuchten Gebiet des Kristallberge westlich der Straße trafen wir auf ein umfangreiches Kluftnetz, das sich durch weiße Streifen oder nur millimeterweit aus dem Sand ragende Kalkablagerungen andeutet. An einigen Stellen fanden sich auch kreisförmige Querschnitte; eine der diesen zugrundeliegenden Bildungen konnten durch Abtragung von Sand freigelegt werden und erwies sich als ein Bodenzapfen von etwa 20 cm Durchmesser. An einer nahegelegenen Stelle wurde auch ein Sinterbecken ausgegraben. Nur an wenigen Plätzen ist ein wenig mehr von den Höhlensedimenten erhalten - wie zu erwarten ist, an Kluftkreuzungen, wo offenbar Raumerweiterungen entstanden. Das Kluftnetz wurde vermessen - vermutlich handelt es sich um die Reste einer engräumigen Klufthöhle mit einer gemessenen Ganglänge von rund 250 m.
Als Besonderheit der Exkursion kann die Befahrung einer Höhle gemeldet werden. Es ist eine Durchgangshöhle, den Einheimischen schon bekannt, die man dank des weit hineindringenden Tageslichts ohne Hilfe von Lampen von einer Bergseite zur andern durchqueren kann. Im mittleren Teil trifft man eine Gruppe von Tropfsteinen an. Es gelang, einen vermutlich bisher unbekannten Seitenteil zu erreichen, in den kein Licht von außen mehr einfällt. Er führt durch drei breitangelegte, doch schrittweise vertiefte und niedriger werdende Kammern. In der vorletzten fanden sich Tierknochen, in der letzten Tropfsteine. Die Höhle wurde vermessen - sie weist eine Ganglänge von rund 60 m auf. Im Einvernehmen mit den beiden ägyptischen Begleitern nannten wir sie El Makhrum, was Tunnel oder Durchgangshöhle heißt.
Die Höhle liegt in Kalken der Kreideformation, von der heute große Teile abgetragen sind, wobei flache, von Hügeln begrenzte Täler zustandekamen. In einer dieser Erhebungen, rund 20m über der Talsohle, liegt die Höhle El Makhrum. An den Flanken der Erhebungen sind verschiedene Verkarstungsformen zu beobachten, u.a. angeschnittene Hohlräume von Kleinhöhlen, Laugungskolke und Höhlenportale - vermutlich Eingänge zu Höhlen, die fast alle verschüttet sind, u.zw. teils durch Verbruchmaterial, aber auch durch kalkverkittete Rotsedimente und locker liegenden Sand. Diese Beobachtungen bestärken die Annahme, dass die Sintergebilde in den Verebnungen tatsächlich aus Höhlen stammen.
Es lässt sich feststellen, dass der Kreidekalk mechanischer Beanspruchung gegenüber weitaus anfälliger ist als die härteren Sintergebilde, so dass diese an vielen Stellen gut erhalten sind. Die Kalkschichten dieser Gegend sind eben gelagert und in dieser Art mit den Formationen des klassischen Karsts in Istrien vergleichbar. Dort bildeten sich Höhlenflüsse mit geringem Gefälle aus, die weite Strecken durchmessen und oft auch labyrinthisch verlaufende Seitenteile aufweisen. Sie sind durch ihre reichhaltigen Tropfsteinformationen bekannt: Man darf annehmen, dass die fossilen Sinter aus vergleichbaren Höhlen stammen.
So weit entspricht die Formation unseren Vorstellungen von der Entstehung von Höhlen und Sinter und sind speziell aus dem Aspekt heraus interessant, dass diese aus einer Zeit stammen, in der im Gebiet der heutigen Sahara feuchtwarmes Klima vorherrschte. Da durch Höhlenflüsse im Laufe der zunehmenden Verkarstung steigende Anteile des vom Regen zugeführten Wassers der Oberfläche entzogen werden, kommt es zu einer zunehmenden Verödung; somit ist in den Kalkregionen der Sahara vor der eigentlichen Wüstenbildung eine Phase starker Veränderungen in der Landschaft in Erwägung zu ziehen, die speziell durch Abtragung von Humus schon vor dem Eintreten des Trockenklimas zum Verlust fruchtbaren Bodens beitrugen.
Weitere Beobachtungen
Die Exkursion hat allerdings auch zu einigen unerwarteten Beobachtungen geführt, für die bisher Erklärungen ausstehen. Es stellte sich heraus, dass ein im westlichen Bereich der Kristallberge schon im Vorjahr kurz besichtigtes turmartiges, blätterartig unterteiltes Gebilde - von der Form her dem in mediterranen Höhlen gelegentlich auftretendem "Aven-Armand-Typ" ähnlich - kein Bodenzapfen der bisher bekannten Art sein kann. Insbesondere weist er kein reguläres Schichtungsbild auf. Wo Calcit auftritt, ist er offenbar von außen nach innen gewachsen. Eine mögliche Erklärung wäre die Auffüllung von Schloten durch Ablagerungen und Sinter, deren Oberfläche die ehemalige, heute abgetragene Höhlenwand modelliert (K.-H. Pielsticker).
Eine genauere Bestandsaufnahme erwies, dass es speziell in der weiteren Umgebung dieses Gebildes noch weitere gibt, und später wurden sogar in den zentralen Kristallbergen Überreste solcher Formen gefunden. Nur einige davon sind von säulenförmigem Habitus, andere haben eine stärkere Breitenerstreckung; als gemeinsames Kennzeichen ist dann eher das Sinterwachstum von außen nach innen und die Herausbildung sattelförmiger Begrenzungsflächen anzusehen. Auch deren Oberflächenbeschaffenheit ist charakteristisch: Sie sind nahezu weiß und häufig mit einem schwarz gesprenkelten Muster überzogen. Alternativ liegt es nahe, eine organische Entstehung, zur Erklärung heranzuziehen, doch wurden nirgends Feinstrukturen gefunden, durch die sich der organisch Ursprung normalerweise erkennen lässt. Von einigen dieser Gebilde wurden Proben entnommen - vielleicht ist auf dieser Basis, zusammen mit dem Fotomaterial, eine Klärung möglich.
Die Landschaft der Kristallberge mit den Relikten von Höhlensinter; deutlich zu erkennen sind Deckensinterformen mit Vorhängen und Bodensinter mit Stalagmiten. Oberhalb der Sanddecke sind sie verwittert und von Winderosion abgeschliffen.
Ich danke Herrn Heiner Thaler für freundliche Unterstützung, insbesondere für die mir zur Verfügung gestellte Kamera, die es mir ermöglichte, die diesem Text beigegebenen Aufnahmen zu machen. Von Heiner Thaler liegt eine umfangreiche Bilddokumentation - als Papiervergrößerungen wie auch als JPG-Files - der gesamten Reise vor.
Dieser Text wird als Preprint publiziert - die Vorarbeiten für die endgültigen Veröffentlichungen durch die Teilnehmer und die Untersuchung des Probenmaterials werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen.